Project Description

HAUS OLBRICH

Im Jahr 2021 wurde der Mathildenhöhe in Darmstadt der UNESCO-Weltkulturerbe-Status verliehen. Haus Olbrich ist Teil dieses gewürdigten Kulturgut-Ensembles. Dabei ist das ehemalige Wohnhaus von und für Joseph Maria Olbrich weit mehr als ein Architekturbeispiel für die Zeit des Jugendstils. Heute ist Haus Olbrich ein Zeitzeugnis der Vor- und Nachkriegsgeschichte Darmstadts, ein „post-war-monument“, das die Schönheit und den Detailreichtum des Jugendstils sowie die Schlichtheit des Wiederaufbaus in sich vereint. Rittmannsperger Architekten zeichnen für die jüngste Sanierung und Nutzungsänderung des Gebäudes (2017 – 2021) verantwortlich.

1901 für die erste Ausstellung der Künstlerkolonie unter Leitung von J. M. Olbrich erbaut, wechselte das Jugendstilgebäude 1940 den Besitz zu einem Arzt und wurde im November 1944 im Zuge eines Bombenangriffs stark zerstört. Erhalten blieb das Untergeschoss mit den verzierten Fenstergittern, die Gartentore und Teile des Erdgeschosses. Das ausladende Krüppel-Walmdach mit der schmuckhaften Blumengalerie sowie die große Haupttreppe mit der von Olbrich selbst als „Piazza“ bezeichneten Loggia wurden restlos zerstört. 1950/51 begann der Wiederaufbau unter dem Architekten Peter Mandel. Der Wiederaufbauzeit ist die reduzierte Formensprache des Obergeschosses und des Dachs geschuldet.

Im weiteren Verlauf der Zeit wurden teils nicht-genehmigte An-und Umbauten an dem Gebäude ausgeführt, die die ursprüngliche Kubatur verwässerten. Gleichzeitig wurde Haus Olbrich sanierungsbedürftig. Es galt, wertvolle Fragmente der originalen Bauzeit zu erhalten und wieder in Stand zu setzen, wie z.B. den blau-weißen Fliesenfries, der das Haus wie ein Schmuckband umschließt.

Die Nutzung von Haus Olbrich entwickelte sich von einer Mischung aus Wohn-und Arbeitsgebäude hin zu einem seit 1980 durch das Deutsche Polen-Institut genutzten, reinen Bürogebäude. Vor Beginn der Sanierungsmaßnahmen wurde Haus Olbrich der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung als Sitz angeboten, die dieses Angebot annahm.

Wir, Rittmannsperger Architekten, bekamen mit Haus Olbrich die Aufgabe der Sanierung und Nutzungsänderung des Gebäudes. Dass die Stadt Darmstadt die Mathildenhöhe als Bewerbung zum UNESCO-Weltkulturerbe einreichen würde, wurde erst später (etwa in der Mitte der Projektzeit) bekannt und gab uns die einzigartige Gelegenheit am „Weltkulturerbe Darmstädter Mathildenhöhe“ mitzuwirken.

Umgang und Architektonische Haltung

  • Keine Rekonstruktionen.
    Abstrahierte Entwürfe in Anlehnung an das bauzeitliche Original.
  • Herausarbeiten der bauzeitlichen Elemente.
  • Zusammenfügen dreier Zeitschichten:
    1901 – Original. 1950 – Wiederaufbau. 2020 – Neue Zeitschicht.
  • Ablesbarkeit von Alt und Neu.

Mit diesen konzeptionellen Leitgedanken traten wir an die Aufgabe zur Sanierung und Nutzungsänderung von Haus Olbrich heran.

Wir entwickelten eine denkmalpflegerische und gestalterische Gesamtkonzeption für Haus Olbrich, die im gesamten Entwurfsprozess als Leitfaden diente. Ausgangspunkt der Konzeption war, dass wir die Aufgabenstellung nach folgenden Kriterien unterschieden:

  • Die Bauschicht 1901 (Erbauung) wird als denkmalpflegerisch wertvollste Schicht komplett erhalten und wo erforderlich restauriert. Diese Zeitschicht soll durch die geplanten strukturellen Eingriffe „gestärkt“ werden.
  • Die Bauschicht „Wiederaufbau“ nach Kriegszerstörung ist die für die jetzige Kubatur maßgebliche Bauphase und soll im Wesentlichen erhalten bleiben.
  • 2020. Im Zuge der geplanten Nutzungsänderung wird eine klar ablesbare neue Bauschicht eingeführt. Eine Rekonstruktion des Originals ist nicht geplant und nicht gewünscht.

Alle Entscheidungen erfolgten in intensiver Zusammenarbeit und Abstimmung mit einem großen Kreis von Beteiligten: der Unteren Denkmalbehörde Darmstadts, dem Landesdenkmalamt Hessen, dem Advisory Board (Beratungsgremium Weltkulturerbeantrag) sowie der Bauherrschaft/ der  Bauherrschaftsvertretung und den zukünftigen Nutzern. Es wurden viele anregende Diskussionen geführt, viel Herzblut und Begeisterung flossen in das Ergebnis.

Die von Rittmannsperger Architekten neu eingeführte Zeitschicht „ 2020“ fungiert als Bindeglied zwischen der „originalen, bauzeitlichen Schicht“ und der „Wiederaufbau-Zeitschicht“. Wohl wissend, dass in der Zeit des Jugendstils das Handwerk geschätzt und gewürdigt wurde, erschien uns die Verwendung moderner Materialien und Verarbeitungstechniken für die neuen Elemente als logische Konsequenz.

Hervorzuheben sind besonders die Ausführung der Freitreppe West in weiß beschichtetem Stahl mit einem Treppenlauf aus weißem Beton, der Entwurf der sog. Flachstahlrahmen, die leibungstief in den in der Originalproportion wiederhergestellten Öffnungen sitzen, die Wiederherstellung der „Piazza“ mit der großen Eichentür in Originallage, der abstrahierte Entwurf des sog. „Südfensters“ im Erdgeschoss, bei dem eine dem Fenster vorgehängte, weiß beschichtete Metallblende die ursprüngliche Teilung (dreigeteiltes Fenster mit Sprossenfeldern im oberen Bereich) abstrahiert zeigt und der Entwurf des sog. „Westfensters“ im Erdgeschoss, das bauzeitlich mit einer Putzfasche gefasst war und nun in einem weißen Betonfertigteil umgesetzt wurde.

Im Unter- und Erdgeschoss finden sich die meisten bauzeitlichen Originale: Zementfliesenboden mit Ornamentik, bauzeitliche Fenstergitter, bauzeitliche Putzrillen, Fliesenband in blau-weiß mit originalen Eckschienen. Ebenfalls bauzeitlich sind Teile der Außenanlagen, wie z.B. das Stützmauer-Fragment im Westen, das Kleinsteinmosaik-Fragment, die Gartentore.

An der Fassade des Hauses fällt der für die 50er Jahre typische Münchner-Rauputz auf. Dieser schließt an den in Teilen bauzeitlichen, grobstrukturierten Sockelputz an und bildet das optische Bindeglied zwischen dem bauzeitlich geprägten Erdgeschoss und dem vom Wiederaufbau geprägten Obergeschoss.

Nach 2 Jahren Bauzeit war das Projekt fertiggestellt. Wenige Wochen nach Fertigstellung bekam die Mathildenhöhe Darmstadts den UNESCO-Weltkulturerbe-Status verliehen.

Mit unserem architektonischen Beitrag an Haus Olbrich, möchten wir das künstlerische Schaffen des Architekten J. M. Olbrich würdigen und gleichzeitig die Geschichte des Hauses als stummes Zeitzeugnis des Krieges und seiner Überwindung architektonisch integrieren. Abstrahierte Entwürfe in Anlehnung an das Original stellen die Distanz her, die uns das Bauwerk in seinen Zeitschichten begreifen und ablesen lassen.

LEISTUNG
Leistungsphasen 1-8

LEISTUNGSZEITRAUM
2017 bis 2021

BAUKOSTEN
1,37 Millionen Euro

BAUVOLUMEN
1.597 m³ BRI / 598 m² BGF / 304 m² NUF

BAUHERR
Wissenschaftsstadt Darmstadt Eigenbetrieb Kulturinstitute

Fotos: Rahel Welsen und Nikolaus Heiss

historische Fotos und Grundriss: Wasmuth-Mappen, Verlag Ernst Wasmuth Berlin / Stadt Darmstadt